Rundbrief 100 vom 27. August 2022

[Obdachlosigkeit abschaffen – Finnland und Deutschland][Für eine Stadt ohne Armut][Sendungen, Meldungen, Nachrichten][Leseempfehlungen][Termine]

1. Obdachlosigkeit abschaffen – Finnland und Deutschland

Vorbild Finnland
Den Redakteuren der Hamburger Straßenzeitung „HinzundKunzt“ fiel beim Besuch in Helsinki auf, dass sie auf den Straßen keine Obdachlosen sahen.

Finnland ist der einzige EU-Staat in dem die Zahl der wohnungs- und obdachlosen Menschen Jahr für Jahr zurückgeht. Ende der 1980er Jahre zählte das Land mit seinen gut fünf Millionen Einwohnerinnen noch 20.000 Wohnungslose; heute haben weniger als 4.000 keine eigene Wohnung.
https://www.hinzundkunzt.de/housing-first-finnland-das-system-auf-den-kopf-stellen/

Bis 2030 will die Bundesregierung Wohnungs- und Obdachlosigkeit überwinden. Die dafür zuständige Bundesbauministerin Klara Geywitz (SPD) erklärt im Interview, wie sie das anstellen will.
„Jeder, der eine Wohnung braucht, muss auch eine bekommen können. Die Hilfssysteme müssen sich darauf einstellen.“
https://www.hinzundkunzt.de/wie-wollen-sie-obdachlosigkeit-abschaffen-frau-ministerin/

Obdachlosigkeit abschaffen  – Köln

Andre Salentin von den Obdachlosen mit Zukunft (OMZ): 

„Das glaubt mir kein Schwein

Bin gestern 10 Stunden durch Köln gefahren und

Ich hab nen Schock bekommen

Ganz Köln hat nun doppelte Anzahl auf Obdachlosigkeit

Hab gestern in der Stadt die doppelte Menge an Läden, Kirchen gesehen, auch an der Lanxess Arena 30 Leute schlafen da

Hohenzollernring 20 schlafen am Straßenrand, überall in Köln mehr Obdachlose als letztes Jahr an den Geschäften am Schlafen

Anstatt dass sie weniger werden, werden es doppelt so viele wie noch nie“

Vielleicht sind es nicht doppelt so viele Obdachlose wie vor einem Jahr, vielleicht sogar mehr, genaue Zahlen werden nicht erhoben, aber in einem hat Andre Salentin recht: Das Elend und die Not der obdachlosen Frauen und Männer auf den Straßen ist unübersehbar. Obwohl der Sozialausschuss der Stadt Köln am 14. Januar 2021 die Unterbringung aller Obdachlosen in abschließbaren Einzelzimmer beschlossen hat, gibt es keine wirkliche Anstrengung der Stadt, die Obdachlosen von der Straße zu holen. 

Am 11.September wird der traditionelle Tag der Wohnungslosen zelebriert und die Freien Träger der Wohnungslosenhilfe und die Stadt Köln haben sich so darauf vorbereitet, dass weder die überfällige Auseinandersetzung mit der Hilflosigkeit der Wohnungslosenhilfe noch die ausstehende Unterbringung der Obdachlosen in Einzelzimmern und Wohnungen im Mittelpunkt stehen:
https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/tag-der-wohnungslosen

WARUM IST DAS SO?

Nahezu alle Obdachlose sehnen sich nach einer eigenen Wohnung. Sozialdezernent Rau will dem Rat und der Stadtöffentlichkeit weißmachen, dass „der Markt das nicht hergibt“. Er ist nicht verantwortlich, „der Markt“ ist schuld.
https://buergerinfo.stadt-koeln.de/getfile.asp?id=733280&type=do

Aber es ist die Stadtregierung von Grünen und CDU, die verhindert haben, dass in den vergangenen beiden Jahrzehnten ausreichend preiswerte Wohnungen gebaut werden konnten und sich internationale renditeorientierte Konzerne mit dem Bau von Hotels, Büros, Luxuseigentumswohnungen und Luxuseigenheimen in Köln bereichern konnten. 

Ein aktuelles Beispiel stand am 25.8.2022 im Stadt-Anzeiger. Auf dem Areal der Deutschen Welle sollen 750 Wohnungen gebaut werden. Davon sind nur 9% gefördert. https://www.ksta.de/koeln/riesiges-bauvorhaben-in-koeln-750-wohnungen-entstehen-auf-frueherem-deutsche-welle-areal-39897532?backlink

Während ein paar Hundert  Obdachlose auf den Straßen vegetieren, hat die Stadt Köln innerhalb kürzester Zeit ein paar Tausend Flüchtlinge aus der Ukraine aufgenommen und untergebracht..
https://www.24rhein.de/koeln/koeln-ukraine-fluechtlinge-krieg-unterbringung-hilfe-unterkunft-messe-zeltstadt-hotel-privatperson-91464775.html

Wir haben in diesem Rundbrief schon mehrfach die Solidarität mit den Flüchtlingen begrüßt, aber auch immer wieder gefragt, wieso die Obdachlosen in diese Anstrengung nicht einbezogen worden sind.

Es gibt in Köln dazu keine ehrliche offene Auseinandersetzung – weder im Rat, noch in den Kölner Medien. 

Vor einigen Jahrzehnten scheuten sich die Verwalter der Armut nicht, offenen auszusprechen, dass es sich einfach nicht rechnet, die Armut zu bekämpfen und es profitabler ist, damals die sogenannten „Fremdarbeiter“ ins Land zu holen, statt die eigenen Armen und Kranken fit für den Arbeitsmarkt zu machen.  Das gilt bis heute. 

Der frühere Sozialdezernent und spätere Kölner Diözesan-Caritasdirektor Ulrich Brisch  erklärte, was unter „Asozialen Obdachlose“ zu verstehen sei so: „Unter ihnen sind diejenigen Personen zu verstehen, die sich in die bürgerliche Gesellschaft nicht einzuordnen vermögen, und deren soziale Hebung nicht oder nur unter hohen personellen und materiellen Aufwendungen möglich ist.“ 

Auch ihre Unterbringung in den Notquartieren charakterisiert er brutal offen: „Die Obdachlosenunterkünfte sollen solide gebaut, aber aufs Einfachste ausgestattet sein. Es darf nie der Eindruck erweckt werden, Obdachlosenunterbringung sei mit wohnungsmäßiger Versorgung zu verwechseln. Jede Großzügigkeit in der Ausstattung stärkt das Beharrungsvermögen der Obdachlosen in den Unterkünften.“ (Ulrich Brisch: Das Obdachlosenproblem, in: Nachrichtendienst des Deutschen Vereins für Öffentliche und Private Fürsorge, 1965, S. 47-50)

Einer der Erfolge der antiautoritären Protestbewegung der 1968er Jahre war, dass die sozialen Randgruppen zum Thema allgemeinen Interesses und zu einem zentralen Gegenstand der Forschung wurden. Dadurch kam es auch 1970 zu solchen Beiträgen im Spiegel: 

„Wenn es zutrifft, daß kapitalistische Länder — wie die marxistischen US-Ökonomen Paul Alexander Baran und Paul M. Sweezy behaupten — »eine besondere Gruppe von Parias« benötigen, die »durch ihre bloße Existenz auf die Gesellschaftsstruktur harmonisierend« wirkt, dann gehören zu Westdeutschlands Parias die Obdachlosen.

Die Ächtung derjenigen, die ärmer dran sind, fügt sich freilich in das Bild einer Gesellschaft, die kommerziellen Erfolg zur moralischen Maxime erhoben hat und Leistung bis zur Impotenz fordert — und dabei allemal eine menschliche Bruchquote einkalkuliert, wie bei der Herstellung von Einwegflaschen. Sie paßt zu einem ökonomischen System, das jene Eigenschaft nur noch heuchelt, die christliche Religionsstifter als Nächstenliebe, die Urväter des Sozialismus als Solidarität und Frankreichs Revolutionäre einst — als dritte Forderung nach Freiheit und Gleichheit — als Brüderlichkeit bezeichneten.

Der bundesdeutsche Wohlstandsstaat nimmt die Existenz seiner Elendsecken hin — als eine Art Strafanstalt für alle, die in der Leistungsgesellschaft und damit auf dem Wohnungsmarkt nicht mithalten können. Rund 500 000 Westdeutsche haben Zweitwohnungen, sehr viel mehr Bundesbürger aber nicht einmal eine Erstwohnung. »Hier«, sagt der Kölner Sozialbeigeordnete Norbert Burger, »ist die Marktwirtschaft … zum Fluch geworden.«
https://www.spiegel.de/politik/hier-wurde-die-marktwirtschaft-zum-fluch-a-df8d6dae-0002-0001-0000-000044418115

2. Für eine Stadt ohne Armut

Aktuell meldet das Statistische Bundesamt, dass jeder achte Mieter mit seinen Wohnkosten überlastet ist. Und das sind Durchschnittswerte – in den Stadtteilen der Armen in den Großstädten sind es weit mehr.
https://www.gmx.net/magazine/wirtschaft/statistik-achte-mieter-wohnkosten-ueberlastet-37230508

Der Wuppertaler Tacheles e.V. hat eine Stellungnahme zum Bürgergeldgesetz vorgelegt: 

„Vorab möchten wir klarstellen, dass es unverzüglich zu einer Erhöhung in den Regelbedarfen und/oder sonstigen Lösungen angesichts der Preis- und Energiepreissteigerungen kommen muss! Mit den jetzigen Regelbedarfen ist ein menschenwürdiges Leben nicht mehr sicherstellbar. Sie waren schon seit Langem zu gering, wurden extra kleingerechnet. In der Inflations- und Energiekrise sind sie das erst recht. Insbesondere für die Menschen, die schon länger im Sozialleistungsbezug sind, seien es die Alleinerziehenden, die Pflegenden oder die Menschen, die aufgrund gesundheitlicher oder sonstiger Einschränkungen schon seit Jahren SGB II-/SGB XII- oder AsylbLG – Leistungen erhalten und ein „Lebenslang“ dieser Leistungen vor sich haben. Denn diese Menschen haben schon lange keinerlei Reserven mehr.“
https://tacheles-sozialhilfe.de/files/Aktuelles/2022/Tacheles-Stellungnahme-zum-Buergergeldgesetz-Final-22-08-2022-E.pdf

Medien-Echo auf die Proteste gegen den Leerstand in der Friedrich-Engles-Straße 7

Rainer Kippe hat schon die nächsten vier Kundgebungen „Wohnungen für Obdachlose und Geflüchtete“ am 27.08., 03.09., 10.09. und 17.09.2022, Ecke Berrenrather Str./ Friedrich-Engels-Str. angemeldet.

Hausbesetzung kann auch Spaß machen:

Druck auf die “Sesselfurzer” in Köln
https://r-mediabase.eu/hausbesetzung-kann-auch-spass-machen-druck-auf-die-sesselfurzer-in-koeln/

„Der Verwaltung fehlt Mumm“ Prominente demonstrieren vor Sülzer „Russenhäusern“ https://www.ksta.de/koeln/lindenthal/-der-verwaltung-fehlt-mumm–prominente-demonstrieren-vor-suelzer–russenhaeusern–39889194

„Wovor hat man Angst?“

Vereine schießen gegen Stadt bei Mahnwache vor „Russenhäusern“ in Köln 
https://www.express.de/koeln/koeln-mahnwache-kritisiert-leerstand-von-haeusern-in-suelz-106280

„Der Verwaltung fehlt Mumm“ Prominente demonstrieren vor Sülzer „Russenhäusern“
https://www.rundschau-online.de/region/koeln/lindenthal/-der-verwaltung-fehlt-mumm–prominente-demonstrieren-vor-suelzer–russenhaeusern–39889194

„Russenhäuser“: Adenauer spricht auf Demo
Bürgerinitiave fordert Enteignung oder Beschlagnahmung – Druck auf die Stadt wächst
Rundschau 22.08.2022, Artikel von Ulrike Weinert

3. Sendungen, Meldungen, Nachrichten

Deutscher Mieterbund: „Deutschland braucht einen Sozialgipfel!“
https://www.lifepr.de/inaktiv/deutscher-mieterbund-ev/deutscher-mieterbund-deutschland-braucht-einen-sozialgipfel/boxid/912333

Herzlos-Aktion Kölner fassungslos:
Geschäft baut Nagelbretter auf, um Obdachlose loszuwerden
https://www.express.de/koeln/koeln-schuhgeschaeft-will-obdachlose-mit-nagelbrett-vertreiben-106765

Warum stehen in Berlin ganze Häuser leer?

Auswirkungen der Hitzewelle auf Städte: Heißes Eisen
Bis zu 15 Grad kann der Temperaturunterschied zwischen Städten und Umland betragen. Expert*innen fordern einen nationalen Hitzeschutzplan.
https://taz.de/Auswirkungen-der-Hitzewelle-auf-Staedte/!5875922/

Graue Energie. Grau ist das neue Grün
Auf dem Bau herrscht Hochkonjunktur. Doch um angesichts der Klimakrise Ressourcen zu schonen, Emissionen zu minimieren und verbaute Energie nutzbar zu machen, werden die Stimmen gegen steten Neubau lauter. Das Handeln fällt aber weiter schwer. https://www.kontextwochenzeitung.de/wirtschaft/594/grau-ist-das-neue-gruen-8367.html

Modell „Kooperative Baulandentwicklung“: Sozialmodell mit vielen Löchern
Immer wieder lassen sich Land und Bezirke den Bau neuer Sozialwohnungen durch die Lappen gehen. Das zeigt eine Anfrage der Grünen.
https://taz.de/Modell-Kooperative-Baulandentwicklung/!5873152/

Beschwerden über Vertreibung von Obdachlosem
https://www.hinzundkunzt.de/beschwerden-ueber-vertreibung-von-obdachlosem/

4. Leseempfehlungen

Philipp P. Metzger: Wohnkonzerne enteignen. Wie Deutsche Wohnen & Co. ein Grundbedürfnis zu Profit machen. Mandelbaum Kritik & Utopie, Berlin, Wien 2021

Andrej Holm: Objekte der Rendite. Zur Wohnungsfrage und was Engels noch nicht wissen konnte. Dietz Berlin, Berlin 2022

Beke Ernst: Obdachlosigkeit in Deutschland. Zur Stigmatisierung wohnungsloser Menschen
GRIN Verlag, 2022 

5. Termine

27.08.2022. 11 – 13 Uhr,

Kundgebung „Wohnungen für Obdachlose und Geflüchtete“, Ecke Berrenrather Str. / Friedrich Engels Straße

27.08.2022, 12 Uhr,

Großdemonstration: Enteignen statt Krise – eine klimagerechte Zukunft aufbauen. Hohenzollernring. Ende Gelände, Fridays for Future, u.a.


27.08.2022, 14 – 22 Uhr,

Loss mer singe zu Besuch bei der SSM am Rhein, Faulbach 2. Eintritt 11 Euro – für loss mer singe und die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim


27.082022

um 15 Uhr geben sich der Stadthistoriker Martin Stankowski und ausgewählte Verkäufer des Straßenmagazins DRAUSSENSEITER ein Tete-à-Tete und zeigen, dass Köln tatsächlich einen doppelten Stadtplan hat. Tickets für den guten Zweck gibt es ab sofort hier: 

https://www.koelnticket.de/details/?fremdref=135464…


27.08.2022, 16 – 19 Uhr,

Verkehrswende-Aktionstag „9-Euro-Ticketweiterfahren“, Am Alten Messeturm/Nähe Tanzbrunnen, Kennedy-Ufer


08.09.2022, 15:30 Uhr, Rat der Stadt Köln

08—25.09.2022,

„UPDATE NACHHALTIGKEIT“ – Festival für neue Baukultur
Apollo-Hochaus / Kö 106, Königsallee 106, 40215 Düsseldorf https://bda-festival.de/

11.09.2022 Tag der Wohnungslosen
https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/tag-der-wohnungslosen

17.–25. 09. 2022 ,

Fotoausstellung „mülheim anders“ bei der SSM, Am Faulbach 2

22.09.2022, 15:30 Uhr, Sozialausschuss

08.10.2022 Europa- und bundesweiter Aktionstag für einen Mietenstopp

https://europeandayofactionforhousingrights.wordpress.com/

02.-06.11.2022

Meeting: European Action Coalition fort he Right to Housing and to the City in Athen. https://housingnotprofit.org/

03.11.2022, 19 h,

Masterplan gegen die Not? Diskussion zur Wohnungslosigkeit und Drogensucht. Mit Monika Kleine, SKF, Stefan Lehmann, Gesundheitsamt, Dominik Meiering, Pfarr, Harald Rau, Sozialdezernent.  Karl Rahner Akademie, 5 € 

10.11.2022, 9 und 14:30 Uhr Rat der Stadt Köln


Für eine Stadt ohne Obdachlosigkeit
Für eine Stadt ohne Zwangsräumungen
Für eine Stadt ohne Drogentote
Für eine Stadt ohne Gewalt gegen Frauen und Kinder
Für eine Stadt ohne Abschiebungen
Für eine Stadt ohne Armut


27. August 2022
Klaus Jünschke und Rainer Kippe
https://wohnungsnot.koeln

PS
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