Wer süchtig wird, ist selber Schuld?

„Der Teufelskreis aus Sucht und Obdachlosigkeit“

Gesundheitsamt und Volkshochschule haben am 23.Juni 2022 in das VHS-Forum zum Gesundheitsgespräch zu diesem Thema eingeladen. 

Stefan Lehmann, Sozialarbeiter im Gesundheitsamt, hat sehr eindrücklich geschildert, wie Abhängigkeit entsteht und einen Überblick über die stoffabhängigen und stoffunabhängigen Süchte informiert. Abhängigkeit ist dann gegeben, wenn alles dem Konsum untergeordnet wird. Er hat darauf verwiesen, dass die legalen Drogen Zigaretten und Alkohol zu mehr Süchtigen führen als die illegalen Drogen. Die Werbung für Zigaretten früher und für Alkohol noch heute, und ihr Verfügbarkeit rund um die Uhr zu erschwinglichen Preisen, haben dazu beigetragen. 

„Wer süchtig wird, ist selber schuld?“ war als Veranstaltungsthema rhetorisch gemeint. Da es keine Grenze zur Abhängigkeit gibt, merkt man es meist nicht selbst, wenn man abhängig wird. Das vermitteln dann die Reaktionen aus der Umwelt. 

Abhängigkeit ist eine Krankheit, von der Weltgesundheitsorganisation anerkannt und von den Krankenkassen akzeptiert, die für Therapien zahlen. Abhängigkeit ist nicht heilbar. 

Auf dem Neumarkt in Köln wird seit 30 Jahren gedealt. Es handelt sich um einen Drogenumschlagplatz und nicht um einen Aufenthaltsraum für Süchtige. 

Die Konsumenten kommen nicht nur in die Innenstadt, weil dort Dealer sind, sondern auch weil sie dort durch Betteln oder Beschaffungsdelikte eher Zugang zur Finanzierung der Sucht finden. Was in der Öffentlichkeit ohne Verständnis wahrgenommen wird, ist, dass es Drogengebraucher gibt, die extrem hemmungslos konsumieren. Stefan Lehmann hat über das Wort Betäubungsmittel vermittelt, wie es dazu kommt: die Drogen betäuben alle Sinne. Alles wird ausgeblendet, auch die Folgen für die eigene Gesundheit. 

Stefan Lehmann geht davon aus, dass 1% der Großstadtbevölkerung illegale Drogen konsumiert. In Köln wären das 11.000. Davon sind über 2.000 in der Methadon-Substitution. Hinter dem Gesundheitsamt gibt es 80 Plätze in der Diamorphin-Behandlung, aber nicht alle Plätze sind belegt. Die restriktiven Voraussetzungen der Diamorsphinbehandlung werden auf Seite 4 im Drogenkurier Nr.124 vom Dezember 2020 erklärt.
https://www.jes-bundesverband.de/wp-content/uploads/2020/11/Kurier-124_internet-x.pdf

Wer mit Methadon substituiert wird, kommt damit 24 Stunden aus, die Heroin-Abhängigen brauchen alle vier bis sechs Stunden neuen Stoff. Das zu finanzieren und zu besorgen beschäftigt sie voll. 

Mit sauberem Heroin, das von Bayer 1898 erfunden wurde und bis 1931 frei auf dem Markt zu erwerben war, kann man alt werden. Was die armen Heroingebraucher krank macht, sind die Verunreinigungen im gestreckten Straßenheroin und die unhygienischen Bedingungen des Konsums auf der Straße.
https://www.dhs.de/suechte/illegale-drogen/heroin/geschichte

Nach diesen Überblick stellte Stefan Lehmann die Lebensgeschichten von zwei Süchtigen vor, mit denen Interviews geführt wurden. Beide hatte extreme Gewalt in der Kindheit und schwer belastende Schicksalsschläge zu bewältigen. Sie erklärten, was das Konsum mit ihnen macht, dass sie dadurch ein Gefühl von Wärme empfinden. „Ich fühle mich wie im Buch der Mutter“, sagte die Mittvierzigerin , die für das Dealen zum Eigenbedarf schon mehrfach zu Haftstrafen verurteilt worden war.  Der Mann sprach ähnlich über die Wirkung von Heroin: „Meine Anspannung geht weg. Ich empfinde totale innere Ruhe, fühle mich sicher.“  Er war schon mehrfach zur Entgiftung in einer Klinik.  Stefan Lehmann hat Klienten kennengelernt, die deshalb  schon bis zu 50 Mal in einer Klinik waren. Dieser Mann hat auch versichert, wie hilfreich er den neuen Drogenkonsumraum im Gesundheitsamt empfindet. Wie die interviewte Frau lebt er obdachlos auf der Straße und ist dankbar, dass er geschützt konsumieren kann, dass es einen Raum gibt, wo er sein kann, wie er ist. 

Auf eine Frage aus dem Publikum, warum die Süchtigen nicht aufhören können, erwiderte Stefan Lehmann, weil es so schwer ist, sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Viele Menschen, die Schmerzen zu bewältigen haben, können sich mit Sport oder anderen Handlungen beruhigen, aber wenn diese Schmerzen überstark sind, wie sie viele Süchtige erleben, hilft ihnen nur noch die Droge.

Die 53jährige Hanna G. die nach Stefan Lehmann ihre Geschichte erzählte erlebt als Jugendliche Heroin als Doping. Als sie am Arbeitsplatz zusammenbrach und eine sechsmonatige stationäre Therapie begann, hat sie bilanziert, dass ihr die Auseinandersetzung mit ihrer Suchtgeschichte nicht geholfen hat. Sie wünscht sich, dass es saubere Drogen gibt, mit denen sie alt werden kann. Sie sprach auch von der inneren Ruhe, die sie durch Heroin fand.

Stefan Lehmann bekräftige nochmal, dass das Streben nach dem Wohlgefühl, das die  Drogen so stark ist, dass es zur Selbstzerstörung führen kann. 

Angesichts der seit Jahren geführten Debatten um den Neumarkt fragte er, ob wir die Süchtigen diskriminieren und kriminalisieren müssen. Er folgt einem akzeptierenden Ansatz. Das leistet auch der Drogenkonsumraum. Die Frauen und Männer, die ihn nutzen, äußern einen hohen Bedarf an weiterführenden Hilfen. Niemanden werden Hilfen aufgezwungen. 

Auf die Frage aus dem Publikum, wie sie die Zahl der Abhängigen mit ihrer Arbeit Fragte Stefan Lehmann trocken zurück: Warum? 

Er verwies auf den Suchtmittelkonsum in der ganzen bekannten Geschichte der Menschheit. Ihm kommt es darauf an, dass sich alle, die sich über die Süchtigen aufregen, über ihre Haltung klar werden. Sucht kann man nicht heilen. Man kann lernen damit umzugehen – wie die trocken gewordenen Alkoholiker. 

Im Abschluss kam die Sprache auch auf die Wohnungsnot in Köln zu sprechen. Die Stadt hat nicht nur zu wenig Plätze für die Abgabe von Diamorpin – was nicht nur geeignet ist, die Gesundheit der Drogengebraucher zu stabilisieren , und die Zahl der Beschafffunsdelikte senken würde – sie hat auch zu wenig bezahlbare Wohnungen für Drogenkranke. 

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