Rundbrief 111 vom 12. November 2022

Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung, Rundbrief 111

Stimmen der Obdachlosen in der Arena am 10.11.2022 bei 30 Jahre Arsch Huh:
Melissa Linda Rennings und Rainer Kippe

Moderatorin: Linda, auf Deinem Pullover steht „Streetwork“, man sieht direkt was Du machst. Du arbeitest auf der Straße mit Obdachlosen, vor allem mit Frauen und Mädchen. Wie ist die Situation hier in Köln für Frauen und Mädchen auf der Straße?

Linda: Es gibt keine Statistik. Der Männeranteil ist sehr hoch, der von Frauen klein,  aber in den letzten Jahren haben die Frauen aufgeholt. Mittlerweile kann man Fifty-Fify sagen. Die Situation der Frauen ist hier in Köln wie in anderen Städten sehr extrem. Frauen die z.B. sexuelle Gewalt erlebt haben, die traumatisiert sind, brauchen besondere Schutzmaßnahmen, davon gibt es in Köln zu wenig. Was auch schlimm ist, wir haben keine Plätze für die Menschen mit Tieren auf der Straße. Das ist ein Skandal, die müssen von vorneweg draußen bleiben. Die kriegen keinerlei Hilfe.

Ich mache Brennpunktarbeit, in Hot-Spots, aufsuchende soziale Arbeit und schaue, wie geht es den Leuten, was kann man für die tun.

Moderatorin: Du kennst das Leben auf der Straße, Du hast selbst auf der Straße gelebt und weißt, wie gefährlich das ist. Wie kannst Du helfen, ganz konkret?

Linda: Es ist ganz unterschiedlich, und ich bin Expertin aus eigener Erfahrung, das kann man so sagen. Ich bin qualifizierte Genesungsbegleiterin, das heißt ich kann Menschen mit psychischen Problemen und Suchtproblemen helfen. Wie kann ich helfen? Es gibt die Notfallhilfe, ich kann erstmal gucken Schlafsack, Isomatte, Essen, Trinken, solche Sachen. Ich kann anrufen, wo gibt es einen freien Platz in einer Notübernachtung, ich kann an die Reso-Dienste verweisen, damit sie eine Einweisung kriegen, ich kann einen Arzt vermitteln oder eine Entgiftung. Und vor allen Dingen, wenn sie Schutz brauchen, die Frauen, Schutz vor Vergewaltigung, vor Überfällen, finde ich es wichtig, dass sie sich mit einem Hund schützen. Gerade deshalb finde ich so negativ, dass sie nicht in die Einrichtungen dürfen.

Wir gehen in den Winter rein, viele von uns gehen nach Hause, haben ein warmes Bett, eine Dusche. Viele können sich nicht vorstellen, wenn man das nicht hat, wenn man draußen, bei Wind und Wetter im Schlafsack liegen muss, zwangsweise,  und dort noch vertrieben wird. Ich plädiere dafür, dass man die Campingplätze öffnet, dass man die den Obdachlosen anbietet, als Überbrückung.

Ich habe noch eine Bitte an Euch alle. Wenn ihr irgendwo vorbeigeht, wo jemand sitzt mit seinem Becher, dann geht nicht achtlos vorbei. Ein Lächeln kostet Euch nichts. Die Frage, hast Du Hunger oder hast Du Durst, kostet Euch nichts. Und wenn ihr eine Antwort bekommt, dann könnt ihr überlegen, ob ihr was gebt. Und vielleicht fragt ihr dann, was möchtest Du denn? Ich möchte auch nicht irgendwas vorgesetzt kriegen. Ihr glaubt gar nicht glücklich diese Menschen sind, bei so einer Wertschätzung.

Moderatorin: Rainer, seit 50 Jahren kümmerst Du Dich um die Obdachlosen. Wie hat sich die Situation verändert?

Rainer: Es geht um ein Menschenrecht, das Menschenrecht auf Wohnen, das steht in der UNO-Charta und es wird in dieser Stadt nicht eingehalten. Über 10.000 Menschen haben keine Wohnung, die Nacht für Nacht ein Quartier suchen müssen. Sie haben keinen Raum für sich selbst, für sich allein. Oder sie müssen in Massenquartiere, mit anderen zusammen. Gegen diese Zustände kämpfen wir und wir dazu haben die Parole ausgegeben: Schafft endlich die Obdachlosigkeit ab!
Und dazu brauchen wir Eure Unterstützung.
Das ist möglich, weil diese Stadt die ist in der Lage für jeden eine Wohnung zu schaffen.

Es fehlen 80.000 Wohnungen in Köln. In Köln wurden schon mehr als 80.000 Wohnungen gebaut und wir fordern, dass das wieder geschieht. Wie wir das schaffen? Dafür habe ich die drei großen Bs: 

Das erste B ist bauen. Wir können bauen.

Das zweite B ist beschlagnahmen. Niemand darf Wohnungen leer stehen lassen. Die Stadt hat das Recht leerstehenden Wohnraum zu beschlagnahmen und dort Obdachlose einzuweisen.

Das dritte ist, wenn alles nicht hilft, besetzen. Wir haben schon über 100 Häuser besetzt in Köln, immer wieder. Viele dieser Häuser sind gerettet worden. Das werden wir auch weiter tun.

Ich lade alle ein, die hier sind, kommt mit uns zu einer großen Kundgebung auf den Heumarkt vor dem Rathaus. Wir wollen dem Rat und Frau Reker sagen, dass sie die leerstehenden sogenannten Russenhäuser endlich beschlagnahmen.

Und wir laden alle ein jeden Samstag, um 11:11, der kölschen Zeit, da treffen wir uns vor den Häusern in der Friedrich-Engels-Str. in Sülz, und demonstrieren dafür, dass diese Häuser endlich bewohnt werden können

Nach Linda und Rainer kam „Alles verloren, keine Wohnung, keine Arbeit kein Geld. Man nennt sie nur Penner, verachtet vom Rest der Welt“:
https://www.youtube.com/watch?v=Gsnn93XSzSY

Obdachlosenunterbringung in Köln nicht rechtskonform und nicht menschenwürdig

Die Gesellschaft für innovative Sozialforschung und Sozialplanung (GISS) hat für die Landesregierung von NRW eine Befragung zu den Wohnungslosen ohne Unterkunft und den verdeckt Wohnungslosen durchgeführt. Die Ergebnisse wurden im März 2022 veröffentlicht. Im Schlusskapitel „Handlungsempfehlungen“ steht auf S. 87 zur Notunterbringung:

„Die Ausgestaltung der Notunterbringung für Obdachlose ist in jüngerer Zeit auch im Rahmen der Corona-Pandemie unter Druck geraten. Bei nationalen Untersuchungen zur Wohnungslosigkeit und Studien des Deutschen Instituts für Menschenrechte, und in vielen Stellungnahmen der Verbände wurde aber auch schon zuvor das Fehlen von Mindeststandards kritisiert und darauf hingewiesen, dass Handlungsbedarf bei einer menschenwürdigen Ausgestaltung der Nothilfen besteht, zumal viele Wohnungslose nicht nur kurzfristig, sondern häufig über längere Zeit untergebracht werden müssen. Enge Befristungen, ein Schutz vor den Unbilden der Witterung nur in den Nachtstunden oder ein Ausschluss von Auswärtigen aus der Unterbringung sind rechtswidrig; bedarfs- und zielgruppengerechte Angebote sind notwendig, und zu einer menschenwürdigen Unterbringung gehörten nicht zuletzt der Schutz der Privatsphäre, Gewaltschutz, ausreichender Infektionsschutz und ausreichende Beratungsangebote, um die Notwendigkeit der Unterbringung so kurz wie möglich zu halten. Das Land Nordrhein-Westfalen sollte daher den Kommunen Empfehlungen für eine rechtskonforme und menschenwürdige Ausgestaltung der Unterbringungspraxis an die Hand geben.
https://www.mags.nrw/hilfe-bei-wohnungslosigkeit

VinziRast-mittendrin – Eine vielfältige Gemeinschaft

VinziRast-mittendrin ist ein innovatives soziales Wohnprojekt, in dem ehemals obdachlose Menschen, Geflüchtete und Student*innen leben. Diese Gemeinschaft könnte kaum vielfältiger sein: hier treffen Menschen unterschiedlicher Lebensgeschichten, Kulturen, und Altersgruppen zusammen, die einander in gleichem Maße bereichern wie fordern.

Menschen, die Isolation erfahren haben, können hier neue Bindungen aufbauen und gewinnen so Vertrauen in sich und andere. Die Gemeinschaft kann heilsam sein und gleichzeitig für alle, die sich einbringen, Entwicklung ermöglichen. Das Haus bietet viel Raum für Begegnung: in Gemeinschaftsküchen und -wohnzimmern, auf der Dachterrasse und in den Werkräumen. Die Einzelzimmer bieten Rückzugsmöglichkeit.

VinziRast-mittendrin wurde 2013 eröffnet. Jeweils zu zweit oder zu dritt teilen sich 26 Bewohner*innen zehn WGs.
https://www.vinzirast.at/projekte/vinzirast-mittendrin/

Politische Krise oder Energiekrise?

„Dass man über die Ursachen Bescheid weiß und nicht aus opportunistischen Gründen über sie hinwegsieht, ist doch die Voraussetzung dafür, dass man was ändern kann. Das halte ich zumindest auch in meinem Alltag und meinem normalen Leben für selbstverständlich. Dass man sich erstmal über die Ursachen Klarheit verschafft und dann ans Lösen geht. Wenn das in diesem Land schon nicht geht, weil man so ein enges, verliebtes Verhältnis zu seiner Regierung und zu seinem Staat hat, dann mag man das Problem auch nicht grundsätzlich lösen. Dann gefällt es einem offenbar besser, sich selbst als gute Seele zu inszenieren.

Hilfe ist immer dann nötig, wenn Hilfsbedürftigkeit erstmal in der Welt ist. Die deutschen Sozialverbände helfen seit über 150 Jahren—und das halte ich für ein trauriges Urteil. Wenn man sich nicht mehr mit den Ursachen der Notlagen in Deutschland oder der Welt befassen will, dann ist Hilfe gar kein erster Schritt zur Überwindung der Probleme, sondern nur die Betreuung des Leids.“ (Arian Schiffer-Nasserie)

Hermann Bühlbecker, Chef der Aachener Lambertzgruppe : „Man legt sich als Land mit einer energieintensiven Industrie nicht mit seinem Haupt-Rohstofflieferanten an, indem man Sanktionen verhängt. Da wird mit zweierlei Maß gemessen, schließlich haben wir auch keine Sanktionen gegen die USAverhängt, als die ungerechtfertigt den Irak angegriffen haben.“
(Newsletter Kölner Presseclub, 11.11.2022)

Sendungen, Meldungen, Nachrichten

Disarstar und sein Einsatz für Obdachlose
https://www.3sat.de/kultur/kulturzeit/disarstar-und-sein-einsatz-fuer-obdachlose-sendung-vom-20-10-2022-100.html

Wer ist der oder die nächste Obdachlose, fragt eine Ausstellung, die bis zum 12.März 2023 in Hamburg zu sehen ist.
https://www.mkg-hamburg.de/ausstellungen/whos-next

Das Neugeschäft deutscher Banken mit Immobiliendarlehen an Privathaushalte und Selbstständige brach im September um 28 Prozent zum Vorjahresmonat ein.igen. Mit einem Volumen von 16,1 Milliarden Euro liege das Neugeschäft auf dem niedrigsten Stand seit 2014
https://www.spiegel.de/wirtschaft/bauen-neugeschaeft-mit-baufinanzierungen-bricht-weiter-ein-a-90a5daff-3e6b-48d1-b8a4-be9d7ad0ad7f

Termine

12.11.2022, 11 – 13 Uhr, Kundgebung gegen Leerstand: „Wohnungen für Obdachlose und Geflüchtete“, Ecke Berrenrather Str. / Friedrich Engels Straße

17.11.2022, 15:30 Uhr Sozialausschuss

20.11.2022, von 12:00 bis 15:00, 5. StadtraumSpaziergang – „aus ALT mach NEU“ in Köln Müngersdorf, Veranstaltung von Stadtraum 5 und 4 e.V., Treffpunk: Friedhof Müngersdorf, Kirchhof 4, 50993 Köln

30.11.2022, 19 Uhr, Gefängnis statt Geldstrafe? Karl Rahner Akademie, Jabachstr.3
https://www.karl-rahner-akademie.de/programm/kurs/Gefaengnis-statt-Geldstrafe/22259#inhalt

1.12.2022, 19:30 Uhr Köln kann auch anders lädt zur Diskussion der Verwaltungsreform ins Domforum ein.
https://www.koelnkannauchanders.de/_files/ugd/97dd9b_6ed69665919a4aa7a8d07b8f225f2847.pdf

Für eine Stadt ohne Obdachlosigkeit
Für eine Stadt ohne Zwangsräumungen
Für eine Stadt ohne Drogentote
Für eine Stadt ohne Gewalt gegen Frauen und Kinder
Für eine Stadt ohne Abschiebungen
Für eine Stadt ohne Armut

12. November 2022
Klaus Jünschke und Rainer Kippe
https://wohnungsnot.koeln

PS
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