Zur Konkurrenz der Städte

In Köln gibt es viel mehr leerstehende Wohnungen und leerstehende Büros als Obdachlose auf der Straße. Die Stadt Köln weigert sich diese Obdachlosen von der Straße in die leerstehenden Wohnungen und Büroimmobilien unterzubringen, weil befürchtet wird, dass damit eine Sogwirkung entsteht und andere nachkommen. 

Sozialdezernent Dr. Rau hat am 18.Juni 2024 auf dem Plenum des Kölner Runden Tisches für Integration geschildert, dass die Erlaubnis für die Ukraine-Flüchtlinge, ihre Haustiere mitzubringen für Folgen hatten. Denn das war in anderen Städten verboten. Aus ganz Deutschland kamen so viele Flüchtlinge mit Tieren nach Köln, dass man sich in Köln nicht mehr anders zu helfen wusste, und auch hier keine Tiere mehr erlaubte. Für Dr. Rau ist das ein schlagender Beweis, dass es eine Sogwirkung gibt. Unausgesprochen wird damit bekräftigt, dass die Obdachlosen in Köln nicht von der Straße in abschließbare Einzelzimmer untergebracht werden – damit nicht andere nachkommen. Nicht zu vernehmen war, ob die anderen Städte von Köln aufgefordert wurden, auch Flüchtlinge mit Tieren aufzunehmen.

Das hat Tradition (nicht nur) in Köln. Oberstadtdirektor Rossa erklärte am 9. Juni 1982 in München auf dem Deutschen Städtetag: „Kommen Sie zu uns (…) und sehen Sie sich auch unsere Gemeinschaftsunterkünfte an. Ich gebe zu (…) wir gehen eben genau diese Gratwanderung, um es nicht zu schön zu machen. Sonst spricht es sich nämlich rum, dass es toll ist, in Köln Asylant zu sein.“ (DST-Beiträge zur Sozialpolitik, Heft 14, Köln 1982)

In Bezug auf den Umgang mit  Obdachlosen in Köln sprach Dr.Rau nicht von einer „Gratwanderung“, sondern von einer „Balance von Integration und Repression“. In der Tradition der schlechten Unterbringung der Flüchtlinge steht die menschenunwürdige Unterbringung in den Notunterkünften Vorgebirgsstraße und Ostmerheimer Straße mit Mehrbettzimmern und ausgehängten Türen. 

Markus Ottersbach hat sich 2003 in seinem Beitrag „Die Marginalisierung städtischer Quartiere“ auch mit der Konkurrenz der Städte befasst, ohne die die von Dr. Rau thematisierte Sogwirkung nicht zu verstehen ist.  

„In fast allen Großstädten findet man sowohl sehr reiche Quartiere als auch sehr arme Viertel.
Als Gründe für diese Polarisierung innerhalb der Städte werden vor allem die Globalisierung der Arbeitsmärkte, der Wohnungsmangel, die Pflege des Wirtschaftsstandorts und die ethnisch bedingte Segregation erwähnt (15). Mit der zunehmenden Globalisierung ist ein Wegfall einfacher Arbeitsplätze in der Bundesrepublik verbunden. Menschen, die nur eine geringe schulische und berufliche Qualifikation aufweisen, gehören deshalb zu den so genannten Globalisierungsverlierern. Auch der Wohnungsmarkt hat sich zu einer wichtigen Ursache für Armut und soziale Ungleichheit entwickelt. Falsche Bedarfsprognosen, eine Verknappungspolitik, die Bevorteilung der gewerblichen gegenüber der privaten Nutzung von Gebäuden in bestimmten städtischen Lagen und ungünstige Rahmenbedingungen für den Bau von Wohnungen (hohe Zinsen, hohe Baukosten etc.) führt Jens Dangschat als Ursachen für das Dilemma auf dem deutschen Wohnungsmarkt und die damit verbundene Segregation der Quartiere an (16). Einen weiteren Grund für die Entstehung marginalisierter Viertel sieht Dangschat in der steigenden Konkurrenz der Städte um wirtschaftliche Güter bzw. Dienstleistungen. Insbesondere der Wettbewerb um moderne Industrien, Dienstleistungsbetriebe und zahlungskräftige Konsumenten veranlasst die Städte immer mehr dazu, ihre Investitionen an die Erfordernisse der lokalen Wirtschaft anzupassen. Dies verdeutlicht z.B. die Entwicklung der Innenstädte zu Büro- und Freizeitzentren mit horrenden Mieten, die nur noch finanzstarke Anbieter von Dienstleistungen aufbringen können. Wirtschaftsmanager, Bänker und Kommunalpolitiker ziehen dabei in der Regel am selben Strang. Um im internationalen Wettbewerb mithalten zu können, werden deutliche Signale gefordert, was etwa die Höhe der Mieten in erstklassigen Bürolagen angeht, mit denen dann Werbung für den Standort betrieben wird (17). 

Fußnote 17: Ein prägnantes Beispiel ist die Werbung um den Wirtschaftsstandort Köln mit dem neuen KölnTurm. So argumentiert der Wirtschaftsdezernent der Stadt Köln, Karl O. Fruhner, dass die Höhe der Miete des KölnTurms ein wichtiges Signal für die Weiterentwicklung bestimmter Standorte ist: „Wir brauchen sie (die hohen Mieten, d. Verf.), um in drei bis vier Jahren im Rechtsrheinischen richtig landen zu können.“ Der Generalbevollmächtigte der Hypothekenbank Essen AG, Eigentümerin des KölnTurms, fügt hinzu: „Köln muss weg von den Billigmieten bei den Büroimmobilien.“ Ansonsten könne die Stadt im internationalen Wettbewerb nicht mithalten. (Zitate entnommen aus: Kölner Stadtanzeiger vom 30.05.2001.)
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/27525/die-marginalisierung-staedtischer-quartiere-in-deutschland-als-theoretische-und-praktische-herausforderung/

Der KölnTurm im Mediaparkt war bei seiner Einweihung 2001 das zweithöchste Bürogebäude in NRW.
https://de.wikipedia.org/wiki/K%C3%B6lnturm

Die neugewählte Oberbürgermeisterin Henriette Reker erklärte im Januar 2016 auf dem Neujahrsempfang der Deutschen Bank: „Ich möchte den Wirtschaftsstandort Köln weiter ausbauen und Köln als Medien-, Hochschul- und Messestadt auch international auf einem Spitzenplatz wissen. Es gibt keine eindrucksvollere Sozialpolitik als die Stärkung des Wirtschaftsstandortes.“ https://www.stadt-koeln.de/mediaasset/content/pdf-ob/reden/20160114_neujahrsempfang_deutsche_bank.pdf   

In den Worten von Caritas-Vorstand Peter Krücker: die Prioritäten der Politik liegen nicht bei der Armutsvermeidung.
https://www.rundschau-online.de/politik/scharfe-kritik-des-europarats-was-muss-deutschland-gegen-armut-tun-herr-kruecker-761193

Folglich sind von den Tischen der Reichen nicht genügend Brosamen unten angekommen. 

Ein Viertel der Kölnerinnen und Kölner ist arm und wird verschämt „armutsgefährdet“ genannt.
https://www.stadt-koeln.de/politik-und-verwaltung/presse/mitteilungen/26497/index.html

Die Hälfte der Einwohner Kölns hat Anspruch auf einen Wohnberechtigungsschein, aber jährlich fallen mehr Sozialwohnungen aus der Bindung, als neue gebaut werden. In Köln waren mal 20% aller Wohnungen gemeinnützig, heute sind es weniger als 5%.
In Köln fehlen über 17.000 Wohnungen.
https://wik.koeln/2022/09/15/wohnungspreise-in-koeln-das-problem-ist-das-zu-geringe-angebot/

Über 12.000 Menschen leben in Köln ohne Wohnung.
https://www.statistik.lwl.org/de/zahlen/wohnungslosigkeit/

2019 hat der Rat ein 3. Frauenhaus beschlossen. Es ist immer noch nicht da. Jährlich müssen 600 Anfragen ohne Aufnahme bleiben.
https://www.ksta.de/koeln/koelner-innenstadt/altstadt-sued/koeln-buendnis-fordert-tempo-fuer-drittes-frauenhaus-577327

Die Zahl der Drogentoten ist gestiegen
https://www.ksta.de/koeln/koeln-zahl-der-drogentoten-steigt-drastisch-804996

Soll angesichts dieser Entwicklung weiter blind mit anderen Städten konkurriert werden? 

7. Juli 2024
Klaus Jünschke

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