Was tun?

Was tun, Christoph Butterwegge, Franz Meurer und Lena Teschlade?

Ein neues Buch von Christoph Butterwegge veranlasste die Kölner Volkshochschule am 27. November 2024 zu einer Podiumsdiskussion in ihr Forum einzuladen.

Buchbesprechung Deutschland im Krisenmodus

Die VHS setzte hinter den Buchtitel ein Fragezeichen: „Deutschland im Krisenmodus?“
In der Begrüßung erklärte der Leiter der Politischen Bildung der VHS: Kürzlich hat der Europarat die wachsende soziale Ungleichheit in Deutschland kritisiert.

Menschenrechtsstelle des Europarats kritisiert Deutschland

Christoph Butterwegge gehört zum wissenschaftlichen Gutachtergremium des 6. und 7.  Armuts- und Reichtumsbericht (ARB)der Bundesregierung.

Infos der Bundesregierung zum Gutachtergremium

Der 7.ARB ist in Arbeit. Unklar wann und ob er erscheint.

7. Armut- und Reichtumsbericht

Weil Armut nur ein Teil  der sozio-ökomischen Ungleichheit ist, versteht sich Christoph Butterwegge nicht als Armutsforscher, sondern als Ungleichheitsforscher. 

In seinem Impulsvortrag erklärte er, was unter Ungleichheit zu verstehen ist. Die Armut breitet sich aus und der Reichtum konzentriert sich in immer weniger Händen. 

Er wandte sich gegen die Tendenz die gesellschaftliche Entwicklung schönzureden und verharmlosend von „armutsgefährdet“ zu sprechen. Tatsächlich gibt es in nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in Deutschland absolute Armut, weil auch bei uns  Menschen über so wenig Geld verfügen, dass sie sich die Befriedigung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Bedürfnisse nicht leisten können. 

Als relativ arm wird in der EU bezeichnet, wer weniger als 60% des mittleren Einkommens hat. Als reich bezeichnet Butterwegge alle, die von ihrem Vermögen existieren können. Wobei das verschleiert wird. 

Er skandalisierte, dass die fünf reichsten Familien mehr Vermögen haben als die Hälfte der Bevölkerung. Mit Friedrich Merz als Kanzler käme der ehemalige Aufsichtsratchef von  Blackrock, des größten Vermögensverwalters der Welt,  in dieses Amt.

Friedrich Merz: Zwischen Blackrock und Kanzleramt

Im globalen Maßstab sieht Butterwegge in der sozialen Ungleichheit die Ursache von Kriegen und Bürgerkriegen. 

„Wie die wachsenden Ungleichheit unsere Demokratie gefährdet“ – so der Untertitel der Veranstaltung – stellte er dann zur Diskussion.

Da die Interessen der Armen immer weniger berücksichtigt werden, sinkt ihre Wahlbeteiligung. In Meschenisch wählten zuletzt nur noch 24% der Wahlberechtigten, im Hahnwald dagegen 88%.

Bei der Bundestagswahl 1972 gingen noch 92 % wählen. 

In der Mittelschicht führt die Angst abzustürzen dazu, politisch rechts zu wählen  Das war bei der NSDAP so, die zwar Nationalsozialistische Deutsche Arbeiterpartei hieß, aber mehrheitlich von Mittelschichtangehörigen gewählt wurden. Die Arbeiter wählten mehrheitlich SPD, die Arbeitslosen mehrheitlich KPD. Bei der NPD, den Republikaner und der AfD bestätigen das Wähleranalysen.

Der riesige Reichtum führt zu politischem Einfluss. Die Zeitungen gehören Milliardären und Multimillionären. Die Steuergesetze begünstigen Reiche. 

Der Politikwissenschaftler Manfred G. Schmidt definiert Demokratie als „eine Staatsverfassung, in der die Herrschaft bzw. die Machtausübung auf der Grundlage politischer Freiheit und Gleichheit sowie weitreichender politischer Beteiligungsrechte erwachsener Staatsbürger erfolgt.

Demokratie (Wikipedia)

Ob wir danach noch in einer Demokratie sind, ließ Christoph Butterwegge offen, das war auch kein Thema in der nachfolgenden Podiumsdiskussion, in der es um die Gefährdung der Demokratie ging.

Moderiert von der Journalistin Alexandra Eul diskutierten zunächst Franz Meurer und Christoph Butterwegge allein. Die SPD Landtagsabgeordnete Lena Teschlade war auf dem Weg von Düsseldorf nach Köln im Stau aufgehalten. 

Franz Meurer vermittelte aus der Perspektive von Armen, was Armut bedeutet: keine Freunde zu haben, kein Schwein ruft an, ich bin allein. Er verwies auf das Buch „Die Rückkehr nach Reims“ von Didier Eribon. „Dort widmet er sich nämlich der Frage, warum große Teile der Arbeiterschaft – darunter eben auch Fabrikarbeiterinnen wie Eribons Mutter –, die ehemals immer die Kommunistische Partei (PCF) und andere linke Parteien als ihre genuinen politischen Repräsentanten ansahen, seit den 1980er-Jahren zunehmend den rechtsextremen Front National (FN) wählten.
Eribon macht dafür zunächst die Erosion der PCF, danach aber vor allem aber den Politikwandel der Sozialistischen Partei (PS) verantwortlich, da letztere sich seit der Präsidentschaft François Mitterrands zunehmend einer neoliberalen Agenda verschrieben und dabei ihr zentrales Anliegen, soziale Gerechtigkeit zu verwirklichen, über Bord geworfen habe… Eribon interpretiert die Hinwendung seiner Familie zum FN somit „als eine Art politische Notwehr der unteren Schichten“

Didier Eribon: Rückkehr nach Reims (Rezension)

Lachend hat Franz Meurer darauf verwiesen, dass in einem Wahlbezirk in Höhenhaus/Vingst die Wahlbeteiligung auf 9% gesunken ist. Er sei darüber froh, denn dann wählen sie nicht AfD.

Eribon hat es aus der Armut geschafft und Franz Meurer vertrat die These „aus der Armut führt Bildung heraus.“ Er hat dafür gesorgt, dass Studierende in seiner Pfarrei kostenlos wohnen können und dafür Zeit für soziale Hilfen und Lernhilfen geben. 

Eindrücklich schilderte er, wie man gemeinsam die Veedel schöner gestaltete: „wo man arm ist, darf es nicht ärmlich sein – Schönheit ist wichtig.“

Er hält nichts davon wenn Wohlhabende gönnerhaft Kinder beschenken. Statt dessen organisiert er eine Geschenketheke, wo sich arme Mütter aussuchen können, damit sie ihre Kinder selbst beschenken können. 

Franz Meurer: „Die im Maschinenraum der Gesellschaft arbeiten, die Krankenschwestern, die Pflegekräfte, die Polizisten, die den Laden am Laufen halten finden keine Wohnung mehr in der Stadt. Es ist notwendig, die allgemeine Lebenslage zu verbessern“

Christoph Butterwegge sieht in der Hetze gegen Arme, die für Suchtprobleme und Krankheiten selber schuld seien und vom Bürgergeld in Saus und Braus leben, Bemühungen dafür zu sorgen, dass es zu einem Kampf gegen Armut nicht kommt. Stattdessen erleben wir Klagen wie schlecht es den Reichen geht, wie dringend sie Subventionen benötigen.

Mit dem Verweis auf 11% Akademiker, die im Niedriglohnsektor arbeiten machte er deutlich, dass Bildung nicht alle aus der Armut führt. Er arbeitet an einer sozialpolitischen Bilanz der Ampel. Die versprochene Kindergrundsicherung ist nicht gekommen. Stattdessen sollen 2 oder gar 3% des Bruttosozialprodukts für Kriege ausgegeben werden. „Wer besitzt die Aktien von Rheinmetall?“ Die Vermögenssteuer muss wieder erhoben werden. 

Franz Meurer holte die Diskussion wieder runter in die Stadt, indem er darauf verwies, dass gerade alle Parteien eine Kandidatin oder einen Kandidaten für die Oberbürgermeisterwahl bestimmen. Er wünscht sich einen, der mit Housing First die Obdachlosen von den Straßen holen und allen Kindern ein kostenloses Mittagessen möglich machen kann.  In seiner Gemeinde hat er über 100 Gruppenleiter ausbilden lassen. Das sind sozusagen Kader für eine menschenfreundliche Konfliktschlichtung. Als Verantwortungsethiker sieht Franz Meurer in einer evolutionären Entwicklung unsere einzige Chance.

Wikipedia: Verantwortungsethik

Christoph Butterwegge sieht den Sozialstaat in der Pflicht für das was Franz Meurer in seiner Stadtteilarbeit leistet. Gleichzeitig ist er natürlich auch froh über das was in Höhenberg und Vingst geschieht um Not zu lindern und den Zusammenhalt zwischen den dort lebenden Menschen zu fördern. Er hat Franz Meurer nicht gefragt, warum nicht alle Priester in Köln so eine soziale Basisarbeit machen, wie sie in Höhenberg und Vingst geleistet wird. Als ehemaliges SPD Mitglied und Kandidat der Linken für das Amt des Bundespräsidenten hat er auch nicht erklärt, warum die SPD und die Linke nicht flächendeckend zu einer sozialen Stadtteilarbeit gefunden haben. Warum war und ist es für sie nicht selbstverständlich zu helfen, wo Not ist? 

Als Lena Teschlade ankommt, stellt sie sich vor. Abgeordnete im Landtag von NRW ist sie erst seit 2022. Davor hat sie 18 Jahre als Sozialarbeiterin gearbeitet. Auf ihren Wahlkreis im Kölner Norden angesprochen erklärte sie, dass Chorweiler am meisten unter seinem schlechten Image leidet. Da sie Chorweiler als Stadtbezirk mit großen Zusammenhalt erlebt, wo sich die Menschen solidarisch zueinander verhalten, macht sie Rassismus und Klassismus verantwortlich für das nicht gerechtfertigte schlechte Image. 

Christoph Butterwegge trug seine Kritik am Klassismus vor. Während Rassismus von nicht existierenden Rassen ausgeht und Hautfarbe, Religion oder Herkunft benutzt um Menschen zu diskriminieren und auszugrenzen, gibt es Klassen wirklich.

Franz Meurer kam wieder auf die Bewohner seiner Stadtteile zu sprechen. Er bezog sich auf das neue Buch von Richard Sennett, indem es um Gefühle und nonverbale Kommunikation geht.

sfr: Politische Darsteller und Verführer sind gefährlich

Mit dem Spruch „Kürze ist um Längen besser“ plädiere er für eine Kommunikation auf Augenhöhe mit den Bewohnerinnen und Bewohnern, die keine höhere Bildung genossen hatten. 

Lena Teschlade sieht 30% AfD, die von ihrer Politik nicht mehr abzuholen sind. 

Christoph Butterwegge kritisierte den Konkurrenzkampf der Parteien um die härteste Asylpolitik.  „Das Grundgesetz beginnt mit den Worten „Die Würde des Menschen ist unantastbar. Da steht nicht die Würde des Deutschen ist unantastbar.“

Passend wäre hier ein Bezug auf die Analyse von Slavoj Zizek gewesen:  „Vor einigen Jahren traf die EU nahezu unbemerkt die ominöse Entscheidung eine gesamteuropäische Grenzpolizei einzurichten, um das Gebiet der EU nach außen abzuschotten und so den Zustrom von Immigranten zu verhindern. Dies ist die Wahrheit der Globalisierung: Die Errichtung neuer Mauern, um das wohlhabende Europa vor der Flut der Immigranten zu schützen. Die grundlegende Kluft ist die zwischen denjenigen, die in der Sphäre des Wohlstands einbezogen, und denen, die aus ihr ausgeschlossen sind.
Die einzig echte Lösung ist die, die wahre Mauer einzureißen, nämlich die sozioökonomische; das heißt die Gesellschaft verändern, so dass die Menschen nicht länger verzweifelt versuchen ihrer Welt zu entfliehen. (S. 41) ( Zizek, Slavoj: (2005): Pure Gewalt. Unkorrekte Reflexionen zu New Orleans, Frankreich und Verwandtem. In: Lettre International, Winter 2005, S. 36 – 43)

Franz Meurer erzählt von seinen Wahrnehmungen aus dem Innern des Maschinenraums, wo Menschen denken, dass Asylsuchenden alles kriegen. Für die solidarische Überwindung solcher Konkurrenzen gibt es in der Stadtöffentlichkeit keine Diskussion.

Lena Teschlade informierte über das, was sie in der wohlhabenden Nordstadt auf einer Bürgerversammlung erlebt hat, als darüber diskutiert wurde, dass in die leerstehende Oberfinanzdirektion eine Erstaufnahmeeinrichtung für Flüchtlinge kommt. Die Leute aus dem Villenviertel finden, dass die Flüchtlinge in Chorweiler besser aufgehoben seien. 

Nicht diskutiert wurde, warum kein produktiver Umgang mit dem riesigen Leerstand der ehemaligen Oberfinanzdirektion gefunden wurde. Warum macht man nicht das, was Franz Meurer mit den kostenlosen Zimmern für Studierende hingekriegt hat. Direkt neben der Oberfinanzdirektion in der Wörthstraße ist die Katholische Hochschule, wo Sozialarbeiterinnen und Sozialpädagogen ausgebildet werden.  Gerade haben die Studierendenvertretungen ihre Wohnungsnot skandalisiert. Wieso kann in so einem riesigen Gebäude-Komplex nicht beschlossen werden ein Viertel der Zimmer für Geflüchtete, ein Viertel für Studierende, ein Viertel für Obdachlose, ein Viertel für WBS-Berechtigte anzubieten

1.Dezember 2024
Klaus Jünschke

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