Rundbrief 103 vom 17.September 2022

Foto von der Mietenstopphand

Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung, Rundbrief 103

Protest und Widerstand gegen steigende Lebenshaltungskosten

Auf der Europäischen Sommeruniversität der sozialen Bewegungen im August ging es im Forum Kapitalismus um die Frage, ob wir einen Übergang zu einer neuen Entwicklungsform des Kapitalismus erleben. Und wenn ja, wie gestaltet sich diese?

Referenten waren Frank Deppe von der  Philipps-Universität Marburg, Julia Eder von der Johannes Kepler Universität Linz und Dominique Plihon von der Universität Sorbonne Paris-Nord. https://www.esu22.eu/fileadmin/user_upload/Kampagnen/ESU22/Downloads/Programm_ESU_2022_D_web.pdf

Die drei waren sich einig, dass im gegenwärtigen Marktkapitalismus des Westens der Staat immer stärker eingreift, Technologien wie die Digitalisierung eine immer bedeutendere Rolle spielen und auch die Ökologie zu einem neuen Faktor geworden ist. Wir erleben die Verschiebung zu einem autoritären Kapitalismus, der immer mehr Gewalt zu seiner Rettung einsetzt. 

Die Deklassierungen, die mit der immer stärkeren Konzentration von Macht und Kapital verbunden sind, wurden in diesen kurzen Vorträgen nicht ausführlich thematisiert. Vielleicht wurde vorausgesetzt, dass alle wissen, dass Verarmung und die Bedrohung mit Verarmung eine Konsequenz der Kaptalkonzentration sind.

Adorno hat am 6.April 1967 in seinem Vortrag „Aspekte des neuen Rechtsradikalismus“ in der Wiener Universität erklärt, warum die gesellschaftlichen Voraussetzungen des Faschismus nach wie vor fortbestehen. An erster Stelle nannte er die herrschende Konzentrationstendenz des Kapitals. Und er führte aus: „Diese Konzentrationstendenz bedeutet nach wie vor auf der anderen Seite die Möglichkeit der Deklassierung von Schichten, die ihrem subjektiven Klassenbewusstsein nach durchaus bürgerlich waren, die ihre Privilegien, ihren sozialen Status festhalten möchten und womöglich ihn verstärken. Diese Gruppen tendieren nach wie vor zu einem Haß auf den Sozialismus oder das, was sie Sozialismus nennen, das heißt, sie verschieben die Schuld an ihrer eigenen potentiellen Deklassierung nicht etwa auf die Apparatur, die das bewirkt, sondern auf diejenigen, die dem System, in dem sie einmal Status besessen haben, jedenfalls nach traditionellen Vorstellungen, kritische gegenübergestanden haben.“ (Theodor W. Adorno: Aspekte des neuen Rechtsradikalismus. Berlin 2019, S. 10)

Adorno Porträt mit Zitat zur Ohnmacht

Gar nicht diskutiert wurde im Forum Kapitalismus, dass in den vergangenen Jahren die Zahl der Nichtwähler immer weiter angestiegen ist. Bei Kommunalwahlen gehen in den Armenvierteln der Großstädte in der Bundesrepublik über 50% nicht mehr zur Wahl. In den USA ist das längst auch bei den Wahlen zum Bundesparlament so. Für das deutsche Polit-Establishment ein Hinweis, dass sie ihre marktkonforme Demokratie auch dann noch weiterbetreiben können, wenn auch bei Landtags- und Bundestagswahlen, die Beteiligungen weiter sinken. Dafür spricht, dass die Entlastungspakete der Ampelregierung nur marginal den Armen und Menschen mit geringem Einkommen zugutekommen.

Dass sich dagegen Protest formiert, ist überfällig. Allerdings haben wir vom Aktionsbündnis gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung darauf hinzuweisen, dass die Letzten die Ersten sein müssen im Kampf für eine gerechte Gesellschaft. Es ist normal geworden, dass man täglich an Obdachlosen und Drogenkranken vorbeigeht. Die Protestbewegung, die sich jetzt bildet, muss mit dieser Normalisierung brechen und Wohnungen für die Obdachlosen fordern. Wo geglaubt wird, dass ein Kampf für Gerechtigkeit möglich ist, während Menschen um einen herum ins Bodenlose fallen, ohne sie solidarisch einzubeziehen, kann nicht gewinnen.

Die Obdachlosen sind uns nichts schuldig, wir schulden ihnen die eigene Wohnung.

Das neue Buch von Caren Lay: Wohnopoly

Chancengerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt

Die Europäische Kommission hatte das Jahr 2007 zum “Europäischen Jahr der Chancengleichheit für alle” erklärt.
https://www.euractiv.de/section/soziales-europa/news/2007-europaisches-jahr-der-chancengleichheit-fur-alle-de/  

Wie davor sind seither die Reichen reicher und die Armen mehr und ärmer geworden.

Die Umwandlung von Wohnraum in eine Finanzanlage verschärft dabei die gegenwärtige Wohnungskrise in den Städten, indem sie den Widerspruch zwischen Wohnen als Ware und Wohnen als Grundbedürfnis auf eine neue Ebene hebt: Explodierende Mieten, Wohnungsnot und Verdrängung sind einige der unkontrollierten Auswüchse der Finanzialisierung.
https://www.youtube.com/watch?v=3WHDgS8XfGE

Am 15. August 2022 fand der 1.Workshop des Kölner Runden Tisches für Integration zum Thema Chancengerechtigkeit auf dem Wohnungsmarkt statt. Es ging um die Erarbeitung von Vorschlägen zur Überwindung der offensichtlich gegebenen Benachteiligung von Migranten bei der Wohnungssuche.

Es wurde nicht vorab geklärt, was es mit der gewünschten Chancengerechtigkeit in einer Gesellschaft auf sich hat, in der die soziale Ungleichheit immer weiter zunimmt.

In Frankreich, dem Mutterland von „Freiheit, Gleichheit, Geschwisterlichkeit“, hat sich der Soziologe Francois Dubet damit auseinandergesetzt: 

„Weil die Chancengleichheit die Grundlage einer gerechten Verteilung der Individuen auf die ungleichen sozialen Positionen ist, riskiert sie, das soziale Leben in eine Art Wettkampf zu transformieren, in dem jeder der Konkurrent, wenn nicht sogar der Feind aller anderen wird beim Versuch, relative rare Positionen und Ressourcen zu erwerben.“

Er war sich auch bewusst, wie zu handeln ist, damit man nicht im Sozialdarwinismus landet:

„ Der Kampf für die Chancengleichheit muss Hand in Hand gehen mit dem Kampf für die Reduzierung der sozialen Ungleichheiten, der Ungleichheiten der Positionen und der Ressourcen. Das ist nicht nur die beste Art, um sich dem Horizont der Chancengleichheit selbst zu nähern, das ist auch die einzige Facon, Garantien und eine grundlegende soziale Gerechtigkeit denen anzubieten, die im egalitären Wettbewerb scheitern, auch wenn es dabei gerecht zuging.“
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=10471

Im workshop des Kölner Runden Tisches für Integration wurde eine der wichtigsten Aufgaben der Stadt im sozialen Wohnungsbau gesehen:
„In Köln muss der Bau von Wohnungen für untere und mittlere Einkommen absoluten Vorrang haben. Zwischen dem errechneten Bedarf und dem aktuell zur Verfügung  stehenden Wohnungsangebot klafft eine Lücke von rund 80 000 Wohnungen.
Stadteigene Grundstücke werden derzeit nach Konzept vergeben und der Maßgabe des
Baus von 30 Prozent geförderten Wohnungen. Dies reicht nicht aus. Es müssen die
Grundstücke vorrangig für sozialen Wohnungsbau genutzt werden und auch eine
städtische Wohnungsbaugesellschaft im Stadtwerkekonzern für Gemeindewohnungsbau
genutzt werden. Gebaut werden müssen mehr größere Wohnungen für Familien.“

Die Forderung, die Obdachlosen von der Straße zu holen, kommt in der Liste von Forderungen, Empfehlungen und Vorschlägen nicht vor. Auch dieses Fehlen führt zur Frage nach dem Verständnis der Chancengerechtigkeit, der sich der Runde Tisch verpflichtet hat. Wie kann es Chancengerechtigkeit von Flüchtlingen und Migranten auf dem Wohnungsmarkt geben, wenn die nicht in Wohnungen geholt werden, die aus ihm ausgeschlossen wurden? Wie kann es Chancengerechtigkeit geben, ohne den Stopp von Zwangsräumungen? Zumal davon alle, Einheimische und Zugewanderte, betroffen sind.

Logo der Wohnungslosenhilfe -Wohnungsnot bis 2030 beenden

Sendungen, Meldungen, Nachrichten

Aktuelle Stunde im WDR am 11. 09.2022
Zwei Drittel aller Obdachlosen waren schon Opfer von Gewalt
https://www1.wdr.de/nachrichten/tag-der-wohnungslosen-nrw-100.html

Tag der Wohnungslosen
Obdachlosigkeit – ein wachsendes Problem?
https://www.tagesschau.de/inland/gesellschaft/tag-der-wohnungslosen-103.html

Sonntagsrede für Ärmste
Tag der Wohnungslosen: Sozialverbände warnen vor Verschärfung der Lage. »Gipfeltreffen« im Schloss Bellevue ergebnislos
https://www.jungewelt.de/artikel/434400.sozialer-schein-sonntagsrede-f%C3%BCr-%C3%A4rmste.html

„Mittelschicht verlässt Köln“
Kölner Wohnwirtschaft erwartet Mieterhöhung durch Rat
https://www.ksta.de/koeln/-mittelschicht-verlaesst-koeln–koelner-wohnwirtschaft-erwartet-mieterhoehung-durch-rat-39938860

Wohnungen teuer und zu klein :
Gutachter: Viele Familien verlassen die Städte
https://www.aachener-zeitung.de/ratgeber/bauen-wohnen/gutachter-viele-familien-verlassen-die-staedte_aid-66279487

Wohnungsnot. Auch die Polizisten und Krankenschwestern wollen gut wohnen
https://www.wiwo.de/finanzen/immobilien/wohnungsnot-auch-die-polizistin-und-der-pfleger-wollen-gut-wohnen-/28645242.html

Holt das Vorkaufsrecht zurück!
Grüne und Mieterverbände fordern, dass der Bund bald ein neues Gesetz beschließt
https://www.nd-aktuell.de/artikel/1166770.vorkaufsrecht-holt-das-vorkaufsrecht-zurueck.html

Städte an die Hitze anpassen
https://www.deutschlandfunknova.de/beitrag/klimawandel-staedte-koennen-sich-an-hitze-anpassen?utm_source=pocket-newtab-global-de-DE

Hamburg hat die höchste Obdachlosenquote
https://www.bild.de/regional/hamburg/hamburg-aktuell/trauriger-spitzenplatz-hamburg-hauptsta

Handwerk kritisiert Bürgergeld als zu hoch
https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/buergergeld-handwerk-kritisiert-regelsatz-als-zu-hoch-a-e54c0f20-bc5c-4e0c-9cba-0dcd0b6caa5a

Spanien und Portugal: Mietendeckel
https://www.tagesspiegel.de/politik/spanien-und-portugal-millionen-von-mietern-atmen-auf-8631637.html

Termine

17.09.2022, 11 – 13 Uhr, Kundgebung gegen Leerstand: „Wohnungen für Obdachlose und Geflüchtete“, Ecke Berrenrather Str. / Friedrich Engels Straße

Zeitungsausschnitt zur Ausstellung bei SSM

17.–25. 09. 2022, Fotoausstellung „mülheim anders“ bei der SSM, Am Faulbach 2
https://muelheimanders.de/ausstellung/

Sharepic Ich bin armutsbetroffen. Kudgebung 17.09.2022

17.09.2022, 14 Uhr, Wir zahlen nicht mehr, Ecke Frankfurter Straße/Rösrather Straße

18.9. 2022,| 14–15:30 Uhr, Rainer Kippe: Wohnraum für alle. Schafft endlich die Obdachlosigkeit ab. SSM, Am Faulbach 2, 51063 Köln

20.09.2022, 19:30 – 21:30 Uhr; Wohnungsnot in Köln, mit Michael Weisenstein und Kalle Gerigk, Salon Freiraum, Gottesweg 116a, 50939 Köln
https://nrw.rosalux.de/veranstaltung/es_detail/26NBT/wohnungsnot-in-koeln-%E2%80%93-was-kann-die-stadt-tun?cHash=d2f1090cc18ef70648cb5442e54d902e

22.09.2022, 15:30 Uhr, Sozialausschuss

23.09.2022 Bundesweiter Klimastreik

23.09.2022, ab 15 Uhr, Eröffnung des Pionierparks, Bischofsweg 48-50
https://www.parkstadt-sued.de/einladung-eroeffnung-des-pionierparks-am-22-september-2022

24.9.2022, 14–15:30 Uhr, Tom Küven, Heinz Weinhausen: »Neue Arbeit« am Faulbach. Statt Luxuswohnen am Strom. SSM, Am Faulbach 2,

Für eine Stadt ohne Obdachlosigkeit
Für eine Stadt ohne Zwangsräumungen
Für eine Stadt ohne Drogentote
Für eine Stadt ohne Gewalt gegen Frauen und Kinder
Für eine Stadt ohne Abschiebungen
Für eine Stadt ohne Armut


17. September 2022
Klaus Jünschke und Rainer Kippe
https://wohnungsnot.koeln

PS
Spendenaufruf

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