Rundbrief 94 vom 9. Juli 2022

Europäische Plattform zur Bekämpfung der Obdachlosigkeit

Vor einem Jahre verpflichteten sich alle 27 EU-Mitgliedstaaten auf der Konferenz in Lissabon auf konkrete Maßnahmen zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit – Bis 2030 soll in der EU niemand mehr auf der Straße leben müssen.

Nach Angaben der EU-Kommission schlafen derzeit rund 700.000 Menschen in der EU jede Nacht auf der Straße – 70 Prozent mehr als noch vor 10 Jahren.

In der „Erklärung von Lissabon über die Europäische Plattform zur Bekämpfung von Obdachlosigkeit“ sind folgende 5 Ziele festgehalten:

  • Niemand soll auf der Straße leben müssen mangels zugänglicher, sicherer und geeigneter Notunterkünfte.
  • Niemand lebt länger in Not- oder Übergangsunterkünften, als für einen erfolgreichen Umzug in eine dauerhafte Wohnlösung erforderlich ist.
  • Niemand wird aus einer Einrichtung (zum Beispiel Gefängnis, Krankenhaus, Pflegeeinrichtung) entlassen, ohne dass ihr oder ihm ein angemessenes Angebot an Wohnraum angeboten wurde.
  • Räumungen der Unterkunft sollten nach Möglichkeit verhindert werden. Niemand soll ohne Angebot einer geeigneten Wohnungslösung vertrieben werden.
  • Niemand soll aufgrund ihres oder seines Obdachlosenstatus diskriminiert werden.
    https://www.bundeskanzleramt.gv.at/themen/europa-aktuell/start-der-europaeischen-plattform-zur-bekaempfung-der-obdachlosigkeit.html

Gerhard Trabert und Frank Walter Steinmeier 


Der Verein Armut und Gesundheit stellt sich vor
https://www.armut-gesundheit.de/was-wir-tun/

Im Juni/Juli-Heft der Zeitschrift GALORE ist auf den Seiten 32-38 ein lesenswertes Interview mit Gerhard Trabert über seine Arbeit als Arzt mit und für Obdachlose.

GALORE: Nach der Wahl zum Bundespräsidenten haben Sie ja einen Termin bei Frank-Walter Steinmeier bekommen. Haben Sie diese Themen dort angesprochen?

Gerhard Trabert: Diese eine Stunde war erstmal ein gegenseitiges Abtasten. Was ich gemerkt habe: Er ist durchaus fundiert informiert, was Wohnungslosigkeit angeht, nicht oberflächlich. Wir haben erste Ideen entwickelt, was zu tun ist, um dem Thema mehr öffentliche Aufmerksamkeit zu verschaffen. Als Bundespräsident kann er keine Entscheidungspolitik betreiben, aber sensibilisieren und Druck ausüben, indem er Themen auf die Agenda setzt.“

Vielleicht wird Herr Steinmeier durch den Kontakt zu Gerhard Trabert für seine eigene Geschichte im Kanzleramt und seinen Beitrag für die Agenda 2010 sensibilisiert.

Am Ende seiner Dissertation hat Steinmeier 1991 geschrieben:
 

Ein Vorschlag, der für die verfassungsrechtliche Absicherung des Wohnbedürfnisses einen Weg zwischen einerseits unverbindlich weiter Staatszielbestimmung und andererseits subjektiven Grundrechtsanspruch geht, könnte … …lauten:
 

Abs 1

Die Schaffung und Erhaltung von gesunden Wohnbedingungen für alle Menschen gilt die besondere Verantwortung des Staates. Er sorgt für eine voraussschauende, der Bedarfsentwicklung angepaßte Erweiterung des Wohnraumangebots und die Schaffung von Wohnumwelten, die der zentralen Bedeutung der Wohnung für das menschliche Leben gerecht werden. Der Gesetzgeber bestimmt Inhalt und Grenzen  der wirtschaftlichen Verwertung von Wohnraum, gewährleistet einen sozialen Kündigungsschutz und sorgt für einkommensgerechte Mieten. 

Abs 2

Bund, Ländern und Gemeinden obliegt die gemeinsame Sorge für die Wohnraumversorgung einkommensschwächerer Bevölkerungskreise. Sie fördern dazu einen sozialen Wohnungsbau sowie private und genossenschaftliche Initiative. Die  ausreichende Schaffung von alters- und behindertengerechtem Wohnraum ist sicherzustellen. 

Abs3
Eine Räumung von Wohnraum darf nur vollzogen werden, wenn zumutbarer Ersatzwohnraum zur Verfügung steht. 

(Frank Walter Steinmeier: Bürger ohne Obdach. Zwischen Pflicht zur Unterkunft und Recht auf Wohnraum. Tradition und Perspektiven staatlicher Intervention zur Verhinderung und Beseitigung von Obdachlosigkeit. VSH-Verlag Soziale Hilfe, Bielefeld 1992, Seite 394f.)
War das ganz lesen möchte, findet den Text in der Unibibliothek hier in Köln.

Zum Gedenken an die Stollwerckbesetzung

Die Stollwerckbesetzung war eine 49 Tage andauernde Hausbesetzung der ehemaligen Stollwerck-Schokoladenfabrik im Kölner Severinsviertel, die am 20. Mai begann und am 6. Juli 1980 endete.
https://de.wikipedia.org/wiki/Stollwerckbesetzung

Ingrid Müller-Münch hat ihre Geschichte des Kampfes um das Stollwerk mit „Traumfabrik“ überschrieben. Einige Zitate daraus:

Die Stadt, wie sie eigentlich war – unmenschlich, teuer und kalt – sollte keinen Zugang finden in das auf Plänen und in den Köpfen der Besetzer längst fertiggestellte zukünftige Stollwerck. Hier sollten Familien und Freaks, Bürger und Ausgeflippte, Alternative und Alte  unter einem Dach ein preiswertes Zuhause finden, das endlich einmal nicht von den zu kurz geratenen Zollstöcken sozialer Wohnungsbauer oder dem strengen Regiment konservativer Vermieter bestimmt sein würde.

Das wochenlange harte Tauziehen um die besetzte Fabrik hat dabei einen Blick darauf freiwerden lassen, mit wie wenig Platz für Phantasie und Entfaltung eine Stadt wie Köln diejenigen abzuspeisen gewohnt ist, die sich nicht mit Geld den notwendigen Spielraum erkaufen können. Warum sonst hätten Jugendliche und Architekten, Stadtplaner, Rechtsanwälte, Ausgeflippte, Langhaarige, Kurzgeschorene und Frauenbewegungs-Frauen nach dieser Fabrik wie nach einem Strohalm gegriffen, an dem sie endlich ihre Phantasie aus dem Wasser ziehen konnten. (S.45f.)

Am Pfingstwochenende kam das zum Vorschein, was Stollwerck hätte sein können, blitzte drei Tage lang durch den Besetzer-Alltag etwas von dem durch, was die Leute im Stollwerck später als neues „Lebensgefühl“ beschrieben. In der Cafeteria  vor dem Fabriktor saß der Bürger aus dem Viertel neben den Besetzern, den Stadtstreichern und Freaks. Familien ließen sich Kaffee servieren, der aus gestohlenem Wasser und mit geklautem Strom gekocht worden war. Mehrere tausend Kölner hatten ihren Pflingstausflug in die besetzte Fabrik verlegt – trotz aller Warnungen von Oberstadtdirektor Rossa: „Jeder, der das besetzte Gelände betritt, begeht Hausfriedensbruch.“ (S.63

Manfred: „Weißt du, es gibt irgendwo so’n schönes Gedicht, wenn der Wind von vorne kommt, da riechste das Paradies. Wenn er von hinten kommt, dann riechste die Gaskammern, die hinter uns sind. Ja, und die liegen hinter uns, die liegen geschichtlich ganz knapp hinter uns. Und wenn der Wind von vorne kommt, dann haste so diesen leichten Geruch, nicht von Haschisch, sondern vom Leben, das du gerne leben möchtest. Und was in so Situationen wie manchmal im Stollwerck so ganz kurz mal da war.“ (S. 90)
(Ingrid Müller-Münch/ Wolfgang Prosinger/ Sabine Rosenbladt/ Linda Stibler u.a.: Besetzung – weil das Wünschen nicht geholfen hat. Köln, Freiburg, Gorleben, Zürich und Berlin. Rororo aktuell. Reinbek bei Hamburg 1981)

Internationale Bauausstellung Wien 2022

Wie wohnen wir morgen?
23.Juni bis 18. November 2022
https://www.iba-wien.at/

Neues Soziales Wohnen im Kontext aktueller gesellschaftlicher Herausforderungen
von Ingrid Breckner
https://www.iba-wien.at/iba-wien/iba-wien/neues-soziales-wohnen-1

Zur Erinnerung.
Bezahlbares Wohnen
Darum sind die Mieten in Wien noch so günstig?
Wohnen ist in vielen europäischen Großstädten oft kaum noch bezahlbar – nicht so in Wien. Knapp die Hälfte der Menschen lebt dort in kommunalen und gemeinnützigen Wohnungen. Was die Stadt anders macht.
https://www.spiegel.de/ausland/bezahlbares-wohnen-wie-wien-zum-groessten-vermieter-europas-wurde-a-7b980817-c992-450f-8263-8372ccbb5dba?sara_ecid=soci_upd_wbMbjhOSvViISjc8RPU89NcCvtlFcJ

Und Köln?
Grüne, CDU und Volt verkaufen weiter städtische Grundstücke an profitorientierte Investoren
Am 20.6.2022 hat der Rat in nichtöffentlicher Sitzung elf Kleingärten an der Bonner Straße 536 an  https://www.wvm-immobilien.de/ verkauft.
https://www.ksta.de/koeln/-der-garten-ist-unser-zweites-zuhause–paechter-hoffen-nach-kuendigung-auf-den-stadtrat–39760978

Sendungen, Meldungen, Nachrichten

Vonovia will nachts die Heizungen herunterdrehen
Um Energie zu sparen, will Deutschlands größter Wohnungskonzern während der Nachtstunden die Vorlauftemperatur der Heizungsanlage absenken. Die Räume werden dann allenfalls noch rund 17 Grad warm.
https://www.spiegel.de/wirtschaft/service/energiesparmassnahme-vonovia-will-nachts-die-heizungen-herunterdrehen-a-85367049-2b73-4f2d-bac8-d2017c3f7b87

Baukräne gesucht   – ab Minute 18:30
Warum im Mülheimer Süden nicht gebaut wird
Der Mülheimer Süden ist eins der größten Neubaugebiete Kölns. Viele der alten Fabrikhallen sind mittlerweile abgerissen, aber Bagger und Baukräne werden dort selten gesichtet. Stattdessen wechseln viele der Grundstücke die Besitzer. Wie der aktuelle Stand auf der Baubrache ist, weiß Philipp Haaser.
https://www.stadtrevue.de/podcast/

Adler lässt Federn

Immobilienkonzern machen Betrugsvorwürfe von britischem Leerverkäufer zu schaffen. Behörden stellen Geschäftsmodell auf den Prüfstand
https://www.jungewelt.de/artikel/429936.pfusch-am-bau-adler-l%C3%A4sst-federn.html

Auswertung nach Bezirken.

So stark schwanken die Immobilienpreise in Kölns Veedeln https://www.ksta.de/wirtschaft/auswertung-nach-bezirken-so-stark-schwanken-die-immobilienpreise-in-koelns-veedeln-39788036

»Nicht unter 20 Euro netto kalt«

Wäre beinahe nicht in der ARD gelaufen: ein Gespräch mit Hauke Wendler und Christoph wickel über ihren Recherchefilm »Immobilienpoker«

https://www.nd-aktuell.de/artikel/1164991.immobilienpoker-nicht-unter-euro-netto-kalt.html

Experte über Wohnungspolitik: „Wohnungen sind kein Spargel“

Hilft Bauen gegen den Wohnungsmangel? Matthias Bernt forscht zu Gentrifizierung und Wohnungspolitik und hat bessere Vorschläge.
https://taz.de/Experte-ueber-Wohnungspolitik/!5863156/  

Wohnungspolitik in Berlin:

Spekulation mit Wohnraum lohnt sich
Der Bezirk Mitte hat den Weg frei gemacht für den Abriss der Habersaathstraße 40-48. Das ist ein fatales Signal für alle Mieter*innen der Stadt.
https://taz.de/Wohnungspolitik-in-Berlin/!5864904/

Keine Mietpreisbremse.  In NRW

Zwar verspricht das neue Bündnis „45.000 neue mietpreisgebundene Wohneinheiten bis 2027“. Jedes Jahr nötig wären aber 100.000 Wohnungen, davon 25.000 mit Preisbindung. https://taz.de/Schwarz-Gruene-Koalitionsvertraege/!5863162/

In den letzten 10 Jahren ist die Obdachlosigkeit in Houston um 63 % zurückgegangen.

Über 25.000 Menschen half man in dieser Zeit aus der Obdachlosigkeit heraus
https://kontrast.at/houston-obdachlosigkeit

„Viele müssen die Städte verlassen“

Wohnen wird immer teurer – der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer schlägt deshalb einen bundesweiten Mietendeckel vor.
https://www.zeit.de/2022/27/tuebingen-boris-palmer-mietendeckel-wohnen-kosten

Termine

17.-21.08 2022, European Summer University, Uni Mönchengladbach mit einem Forum und zwei Workshops zum Thema Wohnen
https://www.esu22.eu/en/home

17.08.2022, 14 Uhr, Rat


18.08.2022, 15:30 Uhr Sozialausschuss

20.08.2022, 14 Uhr, Domforum,  Geschichte auf der Straße. Führung mit Linda Rennings für den Frauengeschichtsverein
https://www.frauengeschichtsverein.de/2022/08/20/geschichte-auf-der-stra%C3%9Fe-eine-stadtf%C3%BChrung-mit-der-k%C3%B6lschen-linda/

27.8.2022 um 15 Uhr geben sich der Stadthistoriker Martin Stankowski und ausgewählte Verkäufer des Straßenmagazins DRAUSSENSEITER ein Tete-à-Tete und zeigen, dass Köln tatsächlich einen doppelten Stadtplan hat. 

Tickets für den guten Zweck gibt es ab sofort hier: 

https://www.koelnticket.de/details/?fremdref=135464…


8.10.2022 Bundesweiter Aktionstag für einen Mietenstopp



9. Juli 2022
Klaus Jünschke und Rainer Kippe

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