Rainer Kippe, r.kippe@ina-koeln.org, 0160-97949220
[Kundgebung Keupstraße] – [Das Wunder von Mülheim] – [Buchtipp Rebellin der Straße] – [Aufenthaltsverbot für Obdachlose]
Kundgebung Keupstraße: Gemeinsam sind wir stark«
Die Heizungen in den Arbeiterhäusern laufen wieder, welch ein Segen für die Bewohnerinnen und Bewohner. Der Schimmel ist geblieben. Am Mittwoch, den 16.10.2024 fanden sich Mieter*innen und Unterstützer*innen zur Kundgebung zusammen.
Die Lokalzeit filmte für einen kurzen Beitrag.
■ https://kurzlinks.de/uhlw (ab Minute 20:54 geht´s los)
Iris Klingelhöfer berichtete wieder im Express
Der Vorsitzende der islamischen Gemeinde Ahmet Erdogan sprach zu den Teilnehmern der Kundgebung und versicherte den Bewohnern der Häuser seine Unterstützung mit den Worten: »Gemeinsam sind wir stark!«
Helmut Goldau informierte zum Verkauf der Keupstraßen-Häuser an Privat:
Die Häuser wurden in den 1980er Jahren unter Denkmalschutz gestellt. Gleichzeitig fielen sie ins Gebiet der Sanierungssatzung. Weil der Eigentümer an einer Sanierung nicht interessiert war, wurden sie per Sanierungssatzung an die Stadt Köln verkauft. Diese sanierte sie mit Landeszuschüssen und der Auflage, sie 25 Jahre als Sozialwohnungen zu vermieten. Als die Bindungsfrist abgelaufenen war (ca. 2012) wurden sie »reprivatisiert«, angeblich gemäß einer Bestimmung des Baugesetzes. Der Erwerb war günstig, da der Kaufpreis ein niedriges Vielfaches der niedrigen Kosten-Sozialmiete betrug. Es gab bei solchen Verkäufen regelmäßig sehr viele Bewerber. Entschieden nach vagen Kriterien wurde zugunsten eines mit dem Stadtteil verbundenen Bewerbers.
***
Peter Bach schaute in seiner Rede noch weiter auf die Geschichte der Keupstraße zurück, um daraus Hoffnung für die Zukunft der Bewohner*innen zu schöpfen:
Es ist gut, dass wir heute hier stehen und die Interessen der Bewohnerinnen in diesen Häusern verteidigen, denn diese sind Symbole – und zwar in zweierlei Hinsicht:
- Symbole, weil sie zur 2. Generation der Arbeiterhäuser des sich entwickelnden Kapitalismus in Mülheim gehören. Die erste Generation waren die Arbeiterhäuser der Firma Andreae in der Mülheimer Freiheit: 20-30qm für bis zu 10 Personen. Das war weniger als ein Drittel des durchschnittlichen Wohnraums der Feudalzeit auf dem Land. Die Häuser waren feucht, wurden immer mal wieder vom Rhein überschwemmt und die Kindersterblichkeit war enorm hoch.
- F&G ließ diese Häuser dann zwischen 1870 und 1880 hier oben bauen. Sie waren zumindest aus Backstein, zumindest trocken, hatten 40/50qm pro Familie und einen kleinen Hof oder Garten hinter dem Haus. Gemessen an Andreae ein Fortschritt. Wenn man aber bedenkt, dass gleichzeitig Herr Guilleaume mit seiner Familie in der weißen Villa 200m weiter unten an der Ecke Keup- und Genovevastraße auf 600qm residierte, dann sind die krassen und brutalen Klassenunterschiede auch in den Wohnverhältnissen spürbar.
- 130 Jahre wohnten hier Familien, deren Väter, Mütter, Töchter und Söhne nebenan bei F&G Drahtseile, Kupferkabel und Aluminiumteile herstellten, die in der ganzen Welt Flüsse überspannten, Strom- und Nachrichten transportierten. 130 Jahre, viele Generationen – und dann brach F&G zusammen, bzw. wurde zusammengebrochen.
- Ich hatte gesagt, Symbole in zweierlei Hinsicht. Sie sind ebenfalls Symbol für erfolgreichen Widerstand: Anfang 1980 sickerte in Mülheim durch, dass die Stadt für F&G die Zufahrtsstraßen erweitern wollte – und gleichzeitig F&G von der lästig werksnahen Wohnbebauung befreien wollte. Geopfert werden sollte die nordöstliche fabriknahe Seite der Keupstraße. Der SSM, er hatte erst ein Jahr vorher die Fabrik- und Wohngebäude in der Düsseldorfer Straße besetzt, erfuhr davon und von Bestechungsgerüchten in dem Zusammenhang. Er verteilte ein Flugblatt mit dem Titel „Wofür hat die SPD von F&G 220.000 DM erhalten?“ Die SPD klagte – und herauskam, dass nicht die SPD das Geld erhalten hatte sondern „nur“ SPD-Mitglieder. Kurz und gut, diese Veröffentlichung führte dazu, dass das Thema Abriss der Keupstraßenhäuser politisch kontaminiert war und niemand mehr damit in Verbindung gebracht werden wollte.
- Manchmal kann auch ein Flugblatt die Welt verändern.
- Lasst uns an diesen erfolgreichen Widerstand anknüpfen und nicht eher ruhen, bis die jetzigen Bewohner in preiswerten und vernünftig renovierten Wohnungen bleiben können.
Lesetipp: Rainer Kippe vom SSM schilderte 1998 die Zusammenhänge zur Verhinderung der geplanten Zerstörung der Keupstraße im Rahmen seiner Arbeit zur Geschichte des SSM und dessen Wirkens im Stadtteil Mülheim.
***
Helmut Goldau und Peter Bach arbeiten in der Geschichtswerkstatt Mülheim mit. Folgend sind die Veröffentlichungen der GWM aufgeführt, darunter auch die Broschüre »Die Keupstraße – Geschichte und Geschichten«
■ https://www.geschichtswerkstatt-muelheim.de/literatur/ver%C3%B6ffentlichungen/
***
Klaus Jünschke berichtet von der Kundgebung:
Das Wunder von Mülheim.
Die Bewohnerinnen der Arbeiterhäuser in der Mülheimer Keupstraße fanden in ihren Hausfluren Mitteilungen der Hausverwaltung Cologne Business Center GmbH (CBC), Otto-Gerig-Str. 5, 50679 Köln, in denen mitgeteilt wurde, dass die Heizungen wegen erheblicher Sicherheitsmängel stillgelegt werden mussten. Mit Verweis auf die zu schwachen elektrischen Leitungen wurden den Mieterinnen ausdrücklich untersagt elektrische Heizkörper aufzustellen. Gegen die immer kälter werdenden Tage wurde den Mieterinnen allen Ernstes empfohlen sich neue Wohnungen zu suchen, also auszuziehen. Die gingen statt dessen in die Düsseldorfer Str,74 zur Sozialberatung des SSM. Rainer Kippe sorgte dafür, dass Rechtsanwalt Jakob Heering Klage beim Amtsgericht Köln einreichte und informierte die Medien. Das Amtsgericht reagiert prompt und forderte die Hausverwaltung auf die Wohnungen zu beheizen. Daraufhin geschah das Wunder von Mülheim – in den Wohnungen wurde es wieder warm.
In der Lokalzeit aus Köln konnte alle sehen, dass die Mieterinnen mit ihren kleinen Kindern nicht nur unter der Kälte litten: riesige Flächen von schwarzem Schimmel wurden gezeigt, gegen die von Seiten der Hausverwaltung nichts unternommen worden war. Grund genug an der für den 16.10.2024 geplanten Kundgebung auf der Ecke Holweider- / Keupstraße festzuhalten. Rainer Kippe hatte die beiden Eigentümerinnen der Häuser persönlich angeschrieben und sie höflich gebeten die Mieterrinnen in ihren Wohnungen zu besuchen und sich anzusehen, was dort getan werden muss, damit sich alle in ihrem Zuhause auch wirklich zuhause fühlen können. Er hat noch keine Antwort bekommen. Daher wurde auf der Kundgebung beschlossen vor dem Haus einer der Eigentümerinnen zu demonstrieren. Die andere lebt in der Schweiz.
In seiner ausführlichen Schilderung der Geschichte der Arbeiterhäuser in Mülheim, angefangen von feuchten Holzhäusern am Rhein mit Kleinstwohnungen, bis zum Bau von Steinhäusern in der Keupstraße, kam Peter Bach immer wieder auf die Verantwortung auch der Parteien und der Stadt zu sprechen.
Die stärkste Partei im Kölner Rat sind aktuell die Grünen. Ihre auf dem Kreisparteitag im November 2019 beschlossenen »Grüne Lösungsansätze für die Stadt der Zukunft« haben wir in unserem Buch »RatSchläge gegen Wohnungsnot und Stadtzerstörung in Köln« dokumentiert, das 2020 im Kölner Weissmann Verlag erschienen ist. Darin heißt es u.a.:
»Unser Ziel ist, für sozialen Frieden und eine bunte Mischung in unserer Stadt zu sorgen. Dazu wollen wir u.a. den Anteil öffentlich geförderter und langfristig gemeinwohl-orientierter Wohnungen erhöhen. Um Spekulation einzudämmen, wollen wir das Vorkaufs- und Wiederkaufrecht der Stadt ausweiten und kompromisslos durchsetzen. Auch eine Vergesellschaftung mit Entschädigung entsprechend der grundgesetzlichen Regelungen kann ein wirksames Instrument sein.«
»Eigentum verpflichtet, das gilt auch für ausgewiesene Wohnungsbauflächen. Untätige Grundstücksbesitzerinnen müssen konsequent über Bußgelder zur zügigen Einhaltung des Bebauungsplans gezwungen werden. Als letztes Mittel schließen wir auch eine Rekommunalisierung nicht aus.«
Zum Buch »Ratschläge«
■ https://www.wohnungsnot.koeln/startseite-aktionsbuendnis/ratschlaege/
Buchtipp: Linda Rennings – Rebellin der Straße
Thomas Dahl vom KStA stellte am 16.10.2024 das neue Buch von Linda Rennings vor. Ihr wurdemit der »Alternativen Kölner Ehrenbürgerschaft« ausgezeichnet.
»Schonungsloser Bericht über das Leben ohne Wohnung
Nippes. Einsamkeit, Angst, Missbrauch, Abhängigkeit, Wut, aber auch Befreiung und Hoffnung prägen die autobiografische Erzählung „Rebellin der Straße – Weiblich und Wohnungslos“ von Linda Rennings, die unter Mitwirkung des Journalisten und Autoren Albrecht Kieser im Rowohlt-Verlag erschienen ist.«
ZDV-Präsidentin fordert ein Aufenthaltsverbot für Obdachlose am Dom
Das berichtet die KR am 15.10.2024 im Interview mit Barbara Schock-Werner, der neuen Präsidentin des Zentral-Dombau-Vereins. Von Wohnungen für Obdachlose ist keine Rede.
Wir zitieren Auszüge:
Die Obdachlosigkeit ist in Domumgebung immer sichtbarer.
Ich finde es sehr bedrückend. Die Personen hinterlassen oft Abfall. Ich hasse es, wenn ich in die U-Bahn am Dom gehe und es riecht wie im Urinal. Ich finde, das ist eine Zumutung für die Bürger.
Wie könnte sich die Lage verbessern? Muss die Stadt bessere Obdachlosenarbeit leisten?
Ja, das ist ein soziales Problem. Aber ich würde für bestimmte Bereiche, gerade für die am Bahnhof oder indirekter Umgebung des Doms, ein Aufenthaltsverbot aussprechen. Der Dom ist ein Kölner Vorzeigeobjekt, und das muss nicht auf diese Weise gestört werden. Auch wenn ich kein Geld habe, muss ich einegewisse Verantwortung für die Stadt aufbringen, in der ich wohne, und nicht alles nur voll müllen.
Wie weit soll dieses Aufenthaltsverbot gehen?
Bahnhofvorplatz, Domumgebung, Wallrafplatz und den Anfang der Hohe Straße und der Burgmauer, wo die vielen Touristen sich aufhalten, um in die Busse und Bähnchen zusteigen, sollte man gut und sauber präsentieren können.
ENDE der Zitate der ZDV-Präsidentin Barbara Schock-Werner
Mit freundlichen Grüßen
Rainer Kippe, SSM